Jon Flemming Olsen ist der „Mann auf dem Seil“

Wann gehen wir in unserem Leben wirklich und wahrhaftig ein Wagnis ein? Oder ist bereits jeder neue Tag, jeder nächste Schritt eine mutige Tat? Auf seinem dritten Soloalbum singt und spielt der Musiker Jon Flemming Olsen mit dem vollen Bewusstsein, dass nichts sicher ist im Leben. Dass wir ständig balancieren müssen, um voranzukommen. Ganz so, wie der Titel es beschreibt: „Mann auf dem Seil‟.

Seine 13 neuen Lieder – live mit Streichquartett eingespielt – ähneln inhaltlich und musikalisch durchaus einem Drahtseilakt. Mal fokussiert auf den Weg, mal in den Abgrund blickend, mal traumtänzerisch leicht. Ob sich da ein einsamer Tropf vergebens um die Rückkehr eines geliebten Menschen bemüht („Wenn Du wiederkommst‟). Oder ob jemand augenzwinkernd anzweifelt, inwiefern der Nachwuchs tatsächlich ein steter Quell der Freude ist („In zwanzig Jahren‟). Und auch die eigene Vita kommt bei Olsen auf den poetischen Prüfstand: In „König in meiner Baracke‟ singt er sich frei von den Zwängen, die sich mit schnellem Ruhm einstellen können.

Immer wieder klingt auf dem Album der Idealist und Sozialkritiker Olsen durch. In „Es wird etwas geschehen‟ krempelt er den deutschen Hang zur Sorge um und macht daraus eine beschwingte Hymne auf die nächste Generation. „Alles wahr‟ ist eine 1-a-Verschwörungspersiflage. Und „Wildes Tier‟ zeigt in dunkel leuchtenden Skizzen, wie in Menschen lange unterdrückter Groll ausbricht. „Die Decke unserer Zivilisation ist hauchdünn. Das Lied ist vielleicht auch ein Plädoyer dafür, das Archaische in uns zuzulassen, bevor sich der angestaute Frust ins Wutbürgerhafte verkehrt.‟ Bevor dieses Seil reißt, das eigentlich doch zwei Punkte verbinden soll, etwa das Ich mit dem Wir. Olsen ist einer, der an Solidarität glaubt. Der den Menschen vertraut, seinen Fans sowieso. Deshalb setzte er auch erneut erfolgreich auf das Prinzip Crowdfunding, um die Produktion von „Mann auf dem Seil‟ zu finanzieren.

Olsen hat seinen Songs viel Zeit zum Reifen gelassen. Mit seinem neuen Material ist er Anfang 2019 nicht geradewegs ins Studio gegangen, sondern hat seine Singer-Songwriter-Oden live ein Jahr lang atmen, fliegen und auch mal scheitern lassen – „bis sie so richtig schön rundgespielt waren‟. Um diese beglückende Energie des Moments festzuhalten, hat er seine Lieder schließlich live aufgenommen. An nur einem Abend, vor vollem Saal (im Theater Schmidtchen) in seiner Heimat Hamburg, in Begleitung des Kammerensembles Konsonanz. So verbindet „Mann auf dem Seil‟ nun die Leidenschaft für Singer-Songwriter-Sound, Folk und Country mit einem intuitiven Gespür für eingängige Popmelodien, die dank der Streicher zum tief berührenden Ereignis werden. Ein überaus geglückter Balanceakt.

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