Hélène Grimaud veröffentlicht Album über die deutsche Romantik
»Ich hatte immer eine besondere Beziehung zu den deutschen Romantikern«, sagt Hélène Grimaud in einem Interview mit der Deutschen Welle. »Das sind Welten, da scheint es mir, als könne ich genau erfassen, was der Komponist im Sinn hatte.« Auf ihrem neuesten Album For Clara widmet sich die Pianistin zum einen der Musik von Robert Schumann und seinem Schützling Brahms, zum anderen vollzieht sie nach, was beide Männer mit der Pianistin und Komponistin Clara Schumann, geborene Wieck, verband. Grimaud spielt Schumanns Kreisleriana, ein Werk, das sie fast ihr ganzes Leben lang kennt und schon einmal aufgenommen hat, und kombiniert es mit Brahms’ drei Intermezzi op. 117 und seiner Sammlung von neun Liedern und Gesängen op. 32. In ihnen wird sie vom Bariton Konstantin Krimmel begleitet, ihrem musikalischen Partner auf dem Silvestrov-Album Silent Songs, das Anfang des Jahres erschienen ist (»Konstantin Krimmel und Hélène Grimaud verdienen höchstes Lob für ihre souveräne und ungekünstelte Interpretation dieser schönen, traumhaften Musik«, BBC Music Magazine).
For Clara erscheint am 08.09.2023 bei Deutsche Grammophon auf CD, Vinyl und digital. Hélène Grimauds Darbietung der Kreisleriana, die im Juni 2022 in der bayerischen Klosterbibliothek Polling gefilmt wurde, ist ab dem 10. Juli auf STAGE+ zu sehen, während ihr Berliner Recital mit Konstantin Krimmel mit u.a. Brahms’ Liedern und Gesängen dort bereits abrufbar ist. Grimauds Aufnahmen von zwei weiteren Brahms-Intermezzi – op. 116 Nr. 2 in a-Moll und op. 118 Nr. 2 in A-Dur – werden am 13. Oktober respektive 24. November als e-Single veröffentlicht.
In einem Brief an seine geliebte Clara im Frühjahr 1838 – noch zwei Jahre sollten vergehen, bevor er Clara endlich heiraten konnte – bekundet Robert Schumann, wie sehr es um sie geht, »in dem Heft neuer Dinge«, an dem er gerade sitzt – »da wirst Du lächeln so hold, wenn Du Dich wieder findest«. Er nannte die Sammlung von acht Soloklavierstücken Kreisleriana, nach Johannes Kreisler, dem überspannten Kapellmeister aus der Feder von E. T. A. Hoffmann. Die Kreisleriana ist »eines der erhabensten, transzendentesten Stücke in der Klaviermusik der Romantik«, sagt Grimaud, Musik voll Zärtlichkeit und Turbulenz, Unruhe und Stille. Grimaud überlässt sich im Spiel ganz der formwandlerischen Fragilität und den frappierenden Stimmungswechseln, die charakteristisch sind für die erdichtete Figur wie für den Komponisten selbst.
Brahms lernte die Schumanns 1853 kennen. Er war da 20 Jahre alt. Beide Eheleute setzten sich sofort für seine Musik ein, und Clara nahm seine Werke in ihr eigenes Konzertprogramm auf. Als sich der Gesundheitszustand ihres Mannes verschlechterte, entwickelte sich zwischen ihr und Brahms eine Freundschaft, die bis zu ihrem Tod 1896 andauerte. Noch im Alter legte Brahms Wert auf Claras Urteil, zum Beispiel zu den drei hier eingespielten elegischen Intermezzi aus dem Jahr 1892. »Grimaud bot diese tiefgründigen musikalischen Herzensergießungen so, wie sie vom Komponisten wohl intendiert sind: als klingende Rückschau auf ein reiches Künstlerleben. Mit Herbstfarben, dazu melancholisch, grüblerisch«, schrieb die Badische Zeitung über ihre Aufführung von op. 117 in Freiburg.
For Clara endet mit den neun Liedern, die Brahms’ op. 32 bilden. Sie wurden in den frühen 1860er-Jahren komponiert und vertonen Lyrik von Georg Friedrich Daumer und August von Platen, die in ihrer Auseinandersetzung mit orientalischen Gedichten beide auch vom mittelalterlichen persischen Dichter Hafis inspiriert wurden. Obgleich diese Gedichte in der ersten Person geschrieben sind, findet sich kein verbindender narrativer Faden in Brahms’ Auswahl, was vielleicht erklärt, warum das Werk heute nur selten in Gänze zu hören ist. Passion, Verlust, Hingabe, Desillusionierung – ein Panoptikum der Gefühle evozieren Hélène Grimaud und Konstantin Krimmel in ihrer bewegenden Darbietung. Wort und Musik spiegeln in gewisser Weise wohl das Empfinden des Komponisten gegenüber Clara wider. »Wie bist du, meine Königin«, dieses Meisterwerk des romantischen Repertoires erklingt zum Schluss.
Was Grimauds eigene Liebe zu den Romantikern angeht, so ist sie ungebrochen. »Das Band von einst hat sich weiterentwickelt«, sagt sie, »aber es hat nie an Bedeutung verloren und wird vielleicht bis zum Ende halten.«