Johannes Oerding ist mit „Konturen“ zurück
Wer sich längst festgelegt hat, was dieser Oerding für Musik macht, sollte Konturen mit Vorsicht genießen. Ebenfalls gewarnt seien alle, die nicht auf Überraschungen stehen. Der Rest wird sich freuen: Johannes Oerdings sechstes Studio-Album „Konturen“, das am 08.11.2019 erscheint, ist ein Fest aus lässigem Pop, knackigem Elektro, satten Streichern, reduziertem Beat, NDW-Übermut und orchestralem Filmmusik-Pathos. Mit scharfkantigen Texten und Themen, die man so von ihm noch nicht gehört hat, schleift diese selbstbewusste Platte gewaltig am Profil eines Musikers, der noch jede Menge Asse im Ärmel hat.
Dabei ist das Blatt des 37-Jährigen schon jetzt überzeugend: Alle seine Alben melden Goldstatus – die beiden letzten sogar Platin – der Titeltrack von „Kreise“ ist die bereits zweite vergoldete Single und seine Auftritte in der neuesten Edition des VOX-Quotengaranten „Sing meinen Song – das Tauschkonzert“ kann man ganz bescheiden einen vollen Erfolg nennen. Gleichzeitig spielt er nach wie vor mindestens 80 Shows im Jahr und folgt regelmäßig Live-Einladungen von Maffay, Lindenberg und anderen etablierten Kollegen. Das Geheimnis? Bei aller Experimentierfreude auf Konturen hat sich der Mensch Oerding kein Stück verändert: „Die Anfragen, die nach ‚Sing meinen Song’ kamen, habe ich fast alle abgesagt. Ich will wieder zur Basis und zwei, zweieinhalb Jahre auf Tour gehen, das ist mir wichtiger.“ Er lässt sich eben einfach nicht davon ablenken, was Musikmachen für ihn bedeutet: Lieder schreiben und auf der Bühne stehen.
Die neuen Songs allerdings dokumentieren einen Reifeprozess, zusätzlich motiviert durch die Atempause in Südafrika, bei der er auch seine Wurzeln wiederentdeckt hat. „Ich langweile mich ungern und wollte wieder mehr auf meine innere Stimme hören, mich noch mehr trauen. Auf Konturen sind deswegen auch mehr politische Songs, die Fragen stellen, die mir einfach unter den Nägeln brennen. Was aktuell auf der Welt passiert, hat für uns alle Konsequenzen, deswegen hat es für mich in diesem Fall nicht funktioniert, einfach dreizehn Popsongs zu schreiben, die nur mich und mein Leben betreffen. Es gibt in meinen Augen Dinge, die jetzt dringend laut ausgesprochen werden müssen und die Songs richten den Blick über den Tellerrand – auf mein ganzes Umfeld, unsere Gesellschaft. Ich sage immer ‚ich bin einer von uns’ und Konturen verkörpert das total. Ich habe mir extreme Mühe gegeben, damit jedes Wort sitzt. Es handelt von Themen, über die ich noch nie oder nicht auf diese Weise gesungen habe.“
„Den Song liebe ich einfach“, sagt Johannes über Blinde Passagiere und erzählt wie der sich quasi selbst reduziert hat: „Ich hatte eine große, Radio-affine Produktion mit Bombast-Chor von ‚Hamburg singt’ geplant und wollte den Song kurz am Klavier vorspielen. Nach ein paar Takten war es totenstill im Saal und mir wurde klar, dass das Lied genau so aufgenommen werden muss. Am Ende spielt der Chor jetzt trotzdem eine Hauptrolle und ist so sogar noch eindrucksvoller. Ich wollte schon immer so eine Hymne produzieren: keine Synthies, keine Drums, einfach purer Pathos. Es war unglaublich, das Gefühl selbst so stark zu spüren und ich bin stolz auf die Message des Songs. Wenn man so will, ist das mein persönliches ‚Freiheit’ à la Westernhagen.“
Die kommende Single Alles okay bringt die Entwicklung mit urbanem Vibe und einer Spur HipHop auf den Punkt. „An diesem Text habe ich viel gefeilt, damit neben meinen Anekdoten jeder auch seine eigene Zeile findet. Ich möchte, dass möglichst jeder nachvollziehen kann was ich meine – weil ich die Menschen mag wie sie sind. Ich bin ja selbst aus der Provinz und komme mit den unterschiedlichsten Leuten gut klar, ohne mich zu verstellen. Das will ich auch für meine Musik.“
Konturen ist vielleicht die erste Platte von Johannes Oerding, die für ihn nicht einfach ein guter Grund ist, auf Tour zu gehen. Er will, dass diese dreizehn Songs wirklich gehört werden. Dass nicht nur er sich auf Wenn du gehst mit Abschied und Tod beschäftigt; dass sich bei Anfassen jeder an die eigene Nase greift, wenn es um digitale Süchte und mangelnde Empathie geht; dass die Leute selbst entdecken, mit wem er auf Ich hab’ dich nicht mehr zu verlieren singt, und dass man nicht nur wegen All in, mit seinen Einflüssen von Fury in the Slaughterhouse bis Justin Jesso, erkennt, dass er alles, was er kann in dieses Album gesteckt hat. „‚Konturen’ ist ein großer Schritt für mich. Ich habe viel Klimbim weggelassen, mich neuen Genres geöffnet und bin mir dabei als Songwriter treu geblieben. Mein roter Faden ist eben nicht rot – er ist bunt.“