Gilbert O’Sullivan veröffentlicht ein neues Album
Unglaubliche fünfzig Jahre sind vergangen, seit Gilbert O’Sullivan mit „Alone Again (Naturally)“ sechs Wochen lang an der Spitze der US-Billboard-Charts stand – es war der Song, der Amerika dazu veranlasste, sich Hals über Kopf in eine für unmöglich gehaltene Liebesaffäre mit dem aus Irland stammenden, aber höchst britischen Singer-/Songwriter zu stürzen, die bis heute andauert. „Alone Again (Naturally)“ wurde über die Jahre bis heute von einer Vielzahl von Künstlern wie Neil Diamond, Nina Simone, Pet Shop Boys oder auch Elton John gecovert. Und so kommt es nicht von ungefähr und dürfte auch keine allzu große Überraschung sein, dass sich auch nachfolgende Generationen gefeierter Künstler – darunter u.a. Paul Weller, Squeeze und The Lemon Twigs – stolz als große Fans von Gilbert O’Sullivan bezeichnen. Zu seinen zahlreichen Bewunderern zählt auch Tim Burgess (The Charlatans), der ihn persönlich einlud, gleich zwei seiner legendären Listening-Partys auf Twitter zu moderieren.
Gilberts neues Album „Driven“ folgt auf sein hochgelobtes, von Ethan Johns produziertes, selbstbetiteltes Album aus dem Jahr 2018, das vom MOJO Magazin mit 4 Sternen honoriert wurde. Die dreizehn Songs auf „Driven“ offenbaren die außerordentlichen Fähigkeiten eines Songwriters, dessen Gespür, sich bislang unentdeckten Quellen tief hängender melodischer Früchte zu bedienen, größer und ausgeprägter ist denn je. Produziert von Andy Wright und mit einer Live-Band in den legendären RAK-Studios aufgenommen, zeugt das unerwartete Tempo, mit der die Songs entstanden, von der außergewöhnlichen Chemie zwischen O’Sullivan, Wright und einer Hausband bestehend aus Pat Murdoch (Beyonce, Simply Red, Chrissie Hynde), Rich Milner (Morcheeba, James Morrison) und Geoff Holdroyde (Take That, Big Linda), die bereits unmittelbar nach Beginn der Recordings deutlich spürbar war.
Diese Chemie ist unter anderem auch auf dem Album-Opener „Love Casualty“ zu hören, der im Zusammenspiel zwischen Gilbert und Pat Murdochs geschmeidigen Gitarrenverzierungen einen Hauch von JJ Cale versprüht. Zusätzlich zu Gilberts Duett mit KT Tunstall gibt es auf dem Album einen weiteren Gastauftritt – und zwar des großen Fans und Simply Red-Frontmanns Mick Hucknall, der im Song „Let Bygones Be Bygones“ sein großartiges Timbre einbringt. Der Song bietet ein zeitgemäßes Korrektiv für das zunehmend polarisierte Denken, das den vorherrschenden Diskurs im Zeitalter der sozialen Medien prägt.
Gilberts außergewöhnliche Fähigkeit, dem menschlichen Geist auf den Grund zu gehen, zeigt sich in „Hey Man“, das Momentaufnahmen entscheidender Augenblicke im Leben von vier verschiedenen Charakteren bietet, denen allen als verbindendes Element bewusst wird, dass einige Dinge nie wieder so sein werden, wie sie in diesem besonderen Moment waren.
Auf „With Body and Mind“ wird uns auf eindrückliche Weise eine Analyse der Dinge vorgelegt, die einen Segen in unserem Leben darstellen. O’Sullivan bedient sich hierbei einer Art inneren Dialogs mit dem Lebensgefährten der Protagonistin. In „You and Me Babe“ stellt Gilbert die Dinge, die unser Leben sinnvoll machen, den Turbulenzen in der Welt gegenüber und setzt sie in einen aktuellen Kontext, in dem er auf subtile Weise auf den Klimawandel anspielt. Einer der wohl schönsten Songs aus Gilbert O’Sullivans Repertoire ist zweifelsohne „If Only Love Had Ears“, der von einem äußerst zarten Streicherarrangement umrahmt wird.
Weitere Songs, in denen er sich reflektierend zeigt, gibt es in Form von „Let Me Know“ und „Blue Anchor Bay“ – eines der absoluten Highlights auf „Driven“, die unmittelbar ins Ohr gehen. Während sich „Let Me Know“ auf das erste Jahrzehnt von Gilberts Karriere bezieht, in dem er sich gegen ernsthafte Beziehungen sträubte, weil er Angst hatte, dass sich das auf sein Songwriting auswirken könnte, widmet sich „Blue Anchor Bay“ einfacheren Zeiten – seinen Jahren als Teenager in Swindon und den regelmäßigen Schulausflügen, die ihn und seine Freunde an eben jenen Strand von Somerset führten, der im Titel des Tracks verewigt ist. Es ist ein Song im Gewand eines sepiafarben anmutenden Jazzstandards, den man so wohl eher auf einem Album von Leon Redbone oder Mose Allison erwarten würde.
Im Grunde ist „Driven“ ein Album, das ein nuanciertes Porträt eines Mannes bietet, der seine eigenen Werte und sein Selbstverständnis in einer zunehmend chaotischen Welt bekräftigt. Gilbert O’Sullivan war wohl nie ein konventioneller Songwriter, sondern entspricht vielleicht eher der Beschreibung eines britischen Chansonniers, der übrigens von keinem Geringeren als Lenny Kaye – Rockwissenschaftler und Gitarrist der Patti Smith Group – für seine „kunstvoll konstruierten, lyrisch originellen Songs mit einem feinen Sinn für filigrane Details“ gelobt wird. Wie bei Paul McCartney und dem jungen Harry Nilsson – beides Songwriter, für die er eine große Vorliebe hegt – reicht Gilbert O’Sullivans Spannweite über die Parameter des Rock’n’Roll hinaus.
Das neue Album „Driven“ erscheint am 22.07.2022.